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ROOM OF ONE BONN – Judentum

Erklärung des Kunstwerkes im ROOM OF ONE BONN zum Judentum

Josef Hasarfati, 1299, Kastilien 
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Das Judentum ist in all seiner großen Vielfalt ins Leben umgesetzte Text-Interpretation. Das Lernen und die praktische Umsetzung der Interpretationen heiliger Texte ist das Zentrum jüdischer Religiosität. Beten im Judentum ist daher nicht überraschend die regelmäßige Rezitation bestimmter Texte. (Das vom Lateinischen stammende deutsche Wort „Religion“ bedeutete ursprünglich „etwas wiederholt lesen“: lateinisch re-legere.) Daher wurde als Bild für das Judentum im ROOM OF ONE BONN eine Buchseite ausgewählt.

Der Leuchter als jüdisches Symbol

Die Buchseite zeigt in der Mitte einen siebenarmigen Leuchter (eine Menorah). Die gewählte Darstellung zeigt den Leuchter klar erkennbar mit Elementen der Natur: im Bild zwei Olivenbäume; der Bezug zwischen Religion und Natur ist also deutlich.

Bereits die Menorah selbst ist eine stilisierte Pflanze. Das zweite Buch der Tora (Exodus 25:31–40) beschreibt in blumiger Sprache ihren Schaft, ihre Zweige, Blütenkelche, Knospen und Blüten. Man vermutet, dass die salvia palaestina-Pflanze das Vorbild für diese Konstruktion des siebenarmigen Leuchters im Heiligtum war. Der siebenarmige Leuchter symbolisiert also etwas Lebendiges, konkret eine Pflanze: den Baum des Lebens.

salvia palaestina

In der jüdischen Überlieferung wurde das Licht der Menorah zum Symbol für die göttliche Gegenwart. Früher im Tempel kam das Licht von kleinen Öllämpchen auf den Enden der Arme des Leuchters und es war eine der Aufgaben der Priester, dieses Licht beständig zu erhalten.

Bereits in der hellenistisch-römischen Zeit wurde der Leuchter selbst zum Symbol für das Judentum und für jüdische Identität. Manchmal wird der mittlere Schaft als der Schabbat gedeutet, und die Flammen der Lichter der anderen Tage rechts und links leuchten zu dieser Mitte hin.

Der Leuchter gehört damit – neben den Pflanzen des Laubhüttenfestes (Sukkot) und der Bundeslade (aron-ha-kodesch) zu den ältesten Symbolen für jüdische Identität. (Der heute bekannte „David-Stern“ ist ein recht junges Symbol des 20. Jh.) In der Gegenwart ziert der Leuchter zwischen zwei Ölbaum-Zweigen das Wappen des Staates Israel. Vor der Knesset in Israel wird im Kunstwerk von Benno Elkan die jüdische Geschichte in Form einer Menorah dargestellt.

Gleichzeitig verweist der siebenarmige Leuchter aber auch auf die univerale Regentschaft Gottes. Die 49 Wörter der sieben Sätze von Psalm 67 werden außerdem oft in Form einer Menorah geschrieben. Der mittlere Vers dieses Psalms lautet: „Es freuen sich und jauchzen die Nationen, wenn du Völker redlich richtest, und Nationen auf Erden leitest.“

Der Leuchter in der Bíblia de Cervera

Das ausgewählte Bild ist ein Blatt aus der sogenannten Bíblia de Cervera (Folio 316v), einer Handschrift, die 1299 / 1300 auf der iberischen Halbinsel unter muslimischer Herrschaft entstanden ist. Sie zählt zu den ältesten und bedeutendsten sefardischen Bibeln, die die Zerstörung der jüdischen Gemeinschaft in den Königreichen Kastilien und Aragon, die Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 und die Zwangstaufen in Portugal im Jahr 1498 überlebt haben. Sie ist ein Zeugnis der über 400 jährigen Blütezeit des spanischen und portugiesischen Judentums unter muslimischer Herrschaft in Europa, eine Zeit die das Judentum wesentlich geprägt hat. Das Buch befindet sich heute in der Biblioteca Nacional de Portugal in Lissabon.

Wir kennen sogar die Identität des Illuminators dieser Bibel, denn er hinterließ auf der letzten Seite des Kodex unübersehbar sein Colophon (siehe Abb.): ein gewisser Josef Hasarfati aus Frankreich, der sich in Kastilien niedergelassen hatte. (Der Text im Colophon lautet: „Ich bin Josef, der Franzose. Dieses Buch habe ich gemalt und vervollständigt.“)

Die Illumination zeigt eine Vision des Propheten Sacharja (6. Jh. v.d.Z.): Sacharja 4,1-6.11-14. Der Prophet schaut einen goldenen Leuchter mit sieben Lampen darauf. Neben dem Leuchter mit den Lichtern, die Gottes Gegenwart symbolisieren, stehen zwei Ölbäume, Symbole für zwei mit Öl gesalbte Mitarbeiter Gottes. Man nimmt oft an, dass die Ölbäume den von den Persern eingesetzten Statthalter Jerusalems, Serubbabel – einem Nachkommen von König David -, und den Hohepriester Jehoschua symbolisieren, also religiöse und politische Leitung. Das Öl für die Lämpchen fließt ständig frisch von den Ölbäumen direkt in die Lampen und sorgt damit für ein ewiges Licht. In Sacharjas Vision ist der Leuchter mit seinem sieben Lampenständern eine Mahnung zum Frieden, denn seine sieben Lampen bedeuten die sieben hebräischen Wörter: : לֹא בְחַיִל וְלֹא בְכֹחַ כִּי אִם־בְּרוּחִי Lo bechail welo wekoach ki im beruchi: Nicht durch Macht, nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist spricht der Ewige, der Herrscher aller Geschöpfe (Sach 4,6).

Die Abbildung des Leuchters in der Cervera-Bibel ist eine der zahlreichen ganzseitigen Illuminationen in dieser Handschrift. Das Bild illustiert jedoch überraschenderweise den Beginn des Buches Ruth, nicht des Propheten Sacharja. Das Buch Ruth erzählt die Liebesgeschichte von Ruth aus Moab und Boas aus Ephraim, zwei Menschen mit unterschiedlichen religiösen Herkünften. Sie werden die Urgroßeltern von König David.

Dieser Ort der Illumination entspricht der jüdischen Auslegungsgeschichte des Sacharja-Textes. Vor der Leuchter-Vision sieht der Prophet eine himmlische Gerichtsszene, in der ein Ankläger (hebr. „Satan“) den Hohenpriester Jehoschua vor Gott, dem Richter, anklagt (Sach 3,1-2). Im Bibeltext bleibt offen, was der Punkt der Anklage ist. Die jüdische Tradition füllt diese Lücke mit Hilfe einer Aussage an anderer Stelle. In Esra 10,18 lernen wir: „Man fand, dass einige Söhne von Priestern fremde Frauen genommen hatten, darunter die Söhne Jeshuas (= Jehoschua), Sohn von Jozadak.“ (Raschi zu Sach 3,1.) Der Anklagepunkt ist also die gemischt-religiöse Familie dieses Hohen Priesters. Der Prophet Sacharja aber verteidigt Jehoschua in den nächsten Versen und der Ausgang des Prozesses ist, dass der Hohe Priester Jehoschua neue Kleider bekommt und als Hoher Priester im künftigen Tempel sehr wohl amtieren darf. Seit der Zeit des Propheten Sacharja und seiner Zeitgenossen, den „Männern der großen Versammlung“ um den Schreiber Esra, ist die Frage der Identität in multi-religiösen Familien also Thema. Dies war es auch auf der iberlischen Halbinsel zur Zeit der Entstehung der Cervera-Bibel. Die Frage ist bis heute aktuell, in Familien aber auch in der großen Menschheitsfamilie: Wie bewahrt man die eigene religiöse Identität, ohne die Identität anderer in Frage zu stellen und im engen Zusammenleben mit Angehörigen anderer religiöser Identitäten.

Folio 316v und 317r der Cervera Bibel, der hebräische Text ist der Beginn des Buches Ruth.

[Annette M. Boeckler, 2023]

Literatur

Steven Fine, The Menorah. From the Bible to Modern Israel, Cambridge MA: Harvard University Press, 2016

Rachel Hachlili: The Menorah: Evolving into the Most Important Jewish Symbol, Leiden: Brill, 2018

Zur Erklärung des Kunstwerks im ROOM OF ONE BONN zum Islam – hier.

Zur Erklärung des Kunstwerks im ROOM OF ONE BONN zum Christentum – hier.